Das Kind als mangelhafter Mensch:

Die Folgen dieser Sichtweise für die westliche Gesellschaft (Teil 1)

Wie wir als Kind gesehen werden, prägt unser Bild von uns selbst, von unseren Möglichkeiten, von unserer Selbstwirksamkeit und Verantwortung. In den Ländern der westlichen Gesellschaft ist das kindliche Sein negativ belegt: noch nicht fertig, mangelhaft, der Belehrung und Formung durch andere bedürftig. Die Folgen sind vielfältig.

Naomi Aldort

Kindsein in zivilisierten Kulturen: Das bedeutet vor allem, als mangelhaft angesehen zu werden; als jemand, der einer Formung von außen bedarf. Kinder der westlichen Gesellschaft werden – im Gegensatz zum Erwachsenen – als minderwertig betrachtet. Als nicht vertrauenswürdig, was ihre »korrekte« Entwicklung, ihre eigene Weisheit, betrifft. Der Grundtenor lautet: Die Grundbedürfnisse des Kindes sind »falsch« und werden deshalb permanent bekämpft bzw. untergraben.

Eine derartige Einstellung macht es natürlich unmöglich, Kinder wirklich in ihrem Menschsein zu sehen. Dem Kind werden erwachsene Verhaltensweisen beigebracht, während die ihm eigenen, kindlichen oft Schelte hervorrufen, ein Gefühl des Versagens entstehen lassen und abhängig werden lassen von einer Führung durch andere. So verbringt das Kind der westlichen Wohlstandsgesellschaft die meiste Zeit seiner Jugend mit Gleichaltrigen – unter der Kontrolle von Erwachsenen.

Diese Sichtweise prägt außerdem die Einstellung von Kindern sich selbst gegenüber. Sie wachsen in der Vorstellung auf, dass es immer jemand anderen zur Führung braucht (Medien, Gruppenzwang etc.). Das Ergebnis: eine Nation junger Menschen auf der Suche nach Anerkennung und Zustimmung. Deprimierte und unzufriedene Menschen, die Antworten und Akzeptanz stets im Außen suchen. Und das beglückende Gefühl des Vertrauens in sich selbst so schmerzlich vermissen.

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