Das erziehungsfreie Leben im Alltag (und seine Tücken)

Frage: Meine Tochter (3 Jahre) geht seit einigen Monaten in einen Kindergarten. Eigentlich gefällt es ihr ganz gut, aber manchmal kommt es vor, dass sie morgens nicht dorthin möchte. Sie weint zu Hause und kann sich nur schwer von mir verabschieden. Ich habe überlegt, ob ich sie an manchen Tagen deswegen zu Hause lassen sollte, aber ich befürchte, dass es dann jeden Tag Theater gibt, wenn ich das einmal gemacht habe. Ich habe an drei Tagen die Woche Arbeit oder Termine und kann sie nicht immer zu Hause lassen. Was soll ich nur tun?

Eine Antwort von Sylvia K. Will

Es ist ziemlich leicht, Denkansätzen mit erzieherischem Inhalt auf die Spur zu kommen. Ein Indikator dafür ist die Formulierung »damit er/sie es lernt«. Ihre Frage könnte demzufolge auch heißen: »Ist es richtig, meine Tochter täglich in den Kindergarten zu zwingen, damit sie lernt, dass sie keine Wahl hat und sie tut, was ich möchte?« Und die Antwort auf diese Frage sollte natürlich deutlich heißen: Nein! Allerdings wäre die Antwort auf die Frage: »Soll ich mein Kind einfach immer zu Hause lassen, wenn es das möchte?« wahrscheinlich auch: Nein!

Wie immer kommt es auf die individuellen Feinheiten zwischen diesen beiden Polen an, für die es sich lohnt, genauer hinzuschauen.

Eine der wichtigsten Fragen in diesem Zusammenhang könnte sein, wie die Eingewöhnung verlaufen ist, wie die generelle Stimmung im Kindergarten ist und ob Ihre Tochter es in der Zwischenzeit geschafft hat, sich an Betreuer und andere Kinder so zu binden, sodass diese zu wichtigen Bezugspersonen in ihrem Leben geworden sind. Wenn sich Erwachsene vorstellen, wie sie beispielsweise den Job wechseln oder sich in einer neuen Gruppe wie z. B. einem Chor anschließen, dann fällt es ihnen oft leichter nachzuvollziehen, dass das wirkliche und echte Ankommen und sich Wohlfühlen in einem neuen Umfeld kein Prozess ist, der nach einigen Tagen abgeschlossen ist. Jeder soziale Raum beinhaltet eigene Besonderheiten, Abläufe und Regeln und in jedem sozialen Raum bewegen sich eine Vielzahl von unterschiedlichen Menschen mit unterschiedlichen Persönlichkeiten, die es zu erfassen gilt. In der Regel fühlen wir uns dann wohl, wenn wir diese zu Grunde liegenden Strukturen erfasst und verstanden haben und uns problemlos einfügen können.

Auch die Eingewöhnung im Kindergarten ist demzufolge kein abgeschlossener Prozess, der mit dem Kennenlernen der Betreuernamen und dem Erkennen des eigenen Garderobenfachs beendet ist, sondern ein lebendiger und immerwährender Prozess, der sich durch Wechsel aber gleichzeitige Beständigkeit definiert. Stellen Sie sich daher die Frage, ob Ihre Tochter alles hat, was sie benötigt, um sich in diesem Umfeld wohlzufühlen. Und wenn dies nicht der Fall ist, so bitten Sie die Betreuer um ein persönliches Gespräch um Lösungen zu erarbeiten, dies nachzuholen.

Vielen Kindern in diesem Alter fallen Übergänge – also der Wechsel von einem Ort zum anderen bzw. einer Tätigkeit zur anderen – sehr schwer. Das Zeitempfinden bezieht sich noch sehr auf den aktuell gelebten Moment (eine Fähigkeit, die wir Erwachsene uns durchaus von den Kindern abschauen könnten), weswegen die Vorstellung eines Abbruchs dieser Tätigkeit oder dieses Ortes manchmal zu Ablehnung führt. Es wäre daher interessant zu fragen, was Ihrer Tochter diese Übergänge erleichtern könnte, bspw. das Anziehen oder das Verlassen des Hauses interessant zu gestalten, neue Wege zu entdecken oder Kuscheltierbegleiter für den Übergang mitzugeben.

Möglicherweise könnte sich auch die Idee, Ihre Tochter an einem bestimmten Tag der Woche zu Hause zu behalten, als hilfreich erweisen. Das können Sie nur herausfinden, indem Sie es ausprobieren. Nur sollten Sie den erzieherischen Gedanken dabei, dass es dann aber an den anderen Tagen besser klappen muss, einfach weglassen. Nutzen Sie die gemeinsame Zeit um miteinander Spaß zu haben und den Tag zu genießen.

Viele Kinder profitieren auch von einer Vorhersehbarkeit der Ereignisse, die sie selbst noch nicht herstellen können. So könnten Sie beispielsweise gemeinsam einen Kalender basteln, auf dem Zu-Hause-Tage so wie Kita-Tage eingetragen sind und auf dem Ihr Kind selbst den Überblick behalten kann, welche Tage bevorstehen und welche bereits vergangen sind.

Niemand außer Ihrer Familie kann wissen, wie sehr Sie auf den Kindergarten als Betreuungsoption angewiesen und wann Abstriche möglich sind. Schauen Sie auf die Bedürfnisse Ihres Kindes aber auch auf Ihre eigenen. Mit der Festlegung eines Rahmens, indem sie flexibel agieren können, werden Sie sicherlich eine gute Lösung für sich und Ihre Familie finden. ■

Fragen Sie!

Sie haben Fragen, Probleme oder Schwierigkeiten mit Erziehungsfreiheit im Alltag? Schreiben Sie uns, wir geben in den nächsten Heften Antworten: redaktion@unerzogen-magazin.de.

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