Das erziehungsfreie Leben im Alltag (und seine Tücken)
Sie fragen, wir antworten!
Eine Antwort von Franziska Klinkigt
Frage: Unser Sohn ist 9 Jahre alt und will nicht mehr gern zur Schule gehen. Er bekommt häufig diffuse Krankheiten wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Medizinisch haben wir bereits alles abklären lassen. Da liegt nichts vor. Wie können wir ihm helfen? Was können wir als Eltern tun?
Es ist ein auch von ärztlicher Seite bemerktes und bestätigtes Phänomen, dass bei vielen jungen Menschen im Laufe der Grundschulzeit, manchmal auch schon sehr bald nach der Einschulung, Symptome wie v. a. Bauch- und Kopfschmerzen auftreten. Ich möchte Ihnen gern dazu ein paar Gedanken und Fragen anbieten, die Sie und Ihren Sohn dabei unterstützen können, mehr innere Klarheit zu der Situation zu finden. (Ich stelle diese Fragen aus der Perspektive Ihres Sohnes. Sie können sie jedoch auch nutzen, um sich selbst zu überlegen, wie Sie über ihn denken.)
Zunächst kann allein schon das Wissen, mit einer Situation nicht allein dazustehen, beruhigend sein. Weiterhin ist es nützlich, sich zu fragen: Sehe ich diese Symptome als Zeichen von Krankheit an und denke, dass etwas mit mir nicht stimmt? Oder sehe ich die Symptome als gesunde Reaktionen an auf etwas, was für mich nicht richtig oder stimmig ist? Es ist wichtig zu wissen, dass unser Körper eine ganz wichtige Rückmeldeinstanz ist. Wenn etwas für ihn nicht richtig oder sogar ungesund oder gefährlich ist, meldet er das in Form von Symptomen. Umgekehrt sind Symptome wie Bauch- und Kopfschmerzen wichtige Hinweise darauf, dass etwas nicht stimmt, dass mir etwas nicht guttut, dass z. B. meine gesunden Grenzen überschritten oder verletzt wurden. Daher plädiere ich dafür, sich und seinen Körper immer ernst zu nehmen. Eine nützliche Frage ist: Was will mein Bauch/mein Kopf/mein Körper mir sagen? Gerade in jüngeren Lebensjahren (aber auch in späteren!) kann es oft sehr schwierig sein, das Erlebte und Empfundene in Worte zu fassen. Vielleicht melden sich in mir jedoch Antworten auf die Fragen: Was fehlt mir? Was stört mich? Was brauche ich? Symptome sind sinnvolle und wichtige Wegweiser. Interessanterweise verbirgt sich in ihnen oft auch eine Symbolik. Wir kennen nicht umsonst Ausdrücke wie »die Nase voll« oder »einen dicken Hals« haben. So können Kopfschmerzen einen erlebten (Leistungs)Druck und Bauchschmerzen Angst und Unwohlsein widerspiegeln.
Nun schreiben Sie auch, dass Ihr Sohn geäußert hat, dass er nicht mehr gern zur Schule gehen möchte. So könnten die Schmerzen ein »Nein« zum Ausdruck bringen. Es gibt im Zusammenhang mit der Schule eine Vielzahl von Aspekten, zu denen ein Nein empfunden werden kann. Entscheidend ist, ob es um Aspekte geht, die in irgendeiner Weise veränderbar und zu beeinflussen sind, die angesprochen und geklärt werden können; oder ob sich herausstellt, dass es sich um unveränderliche bzw. nicht beeinflussbare Aspekte handelt. Meist fällt die Aussage, dass jemand nicht mehr gern zur Schule geht, nicht völlig vom Himmel (obwohl auch dies vorkommen kann). Es gibt oft über einen längeren Zeitraum hinweg Hinweise, dass etwas für einen jungen Menschen nicht in Ordnung ist (obwohl auch diese manchmal unbemerkt bleiben). Wichtig ist, jetzt ernst zu nehmen, was zum Ausdruck gebracht wird, sei es durch Worte oder durch körperliche Symptome. Ein Hinweis scheint mir in dem Zusammenhang noch wichtig: Manchmal entsteht der Eindruck, Bauchschmerzen seien nur »eingebildet« oder würden als Vorwand benutzt, um nicht zur Schule gehen zu müssen. Auch »ausgedachte« Bauchschmerzen sind ein Ausdruck von Not oder Leid. Hat ein junger Mensch vielleicht die Erfahrung gemacht, dass er nur ernst genommen wird, wenn er krank ist bzw. dass er nicht Nein sagen darf? In der Not ausgedachte Bauchschmerzen können schließlich zu echten Bauchschmerzen werden, denn der Körper produziert schließlich Symptome, um ein Ungleichgewicht wieder ins Reine zu bringen.
Für Ihren Sohn wäre es also wichtig herauszufinden, auf welche unerfüllten Bedürfnisse sein Körper ihn hinweist. Braucht er Erholung? Hat er vor etwas Angst? Hat er etwas als ungerecht, verletzend oder auch langweilig, sinnlos empfunden? Hat sein Unwohlsein mit bestimmten Personen zu tun oder mit Dingen, die im Unterricht geschehen? In dem Prozess herauszufinden, was dahintersteckt, kann es hilfreich sein, ein Tagebuch zu führen, in dem Sie Ihre Beobachtungen und die Äußerungen Ihres Sohnes festhalten. Wenn sich im Dialog mit der Schule keine für ihn annehmbare Lösung findet, kann weitere Beratung sinnvoll sein. ■
siehe hierzu auch: http://franziskaklinkigt.blogspot.com/2018/08/hilfe-mein-kind-will-nicht-mehr-zur.html
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