Die Coronakrise. Kann unsere Generation die Verantwortung übernehmen?
Homeoffice und Homeschooling waren vor der Coronakrise in Deutschland nur eingeschränkt nutzbar und sogar unmöglich. Jetzt werden dadurch die vielen Möglichkeiten des virtuellen Raumes sichtbar. Was für die einen bereits zum Alltag gehörte, überfordert andere. Was ist jetzt richtig und wer übernimmt die Verantwortung?
Juliane Reinsch
Die Schulen sind geschlossen, und Homeoffice ist von heute auf morgen für viele möglich. Daraus ergeben sich ungeahnte Möglichkeiten. Gleichzeitig birgt die Zeit der Unsicherheit großes Konfliktpotential.
Die meisten Menschen haben sich das Arbeiten von zu Hause, verbunden mit dem gleichzeitigen Homeschooling älterer Kinder und der Betreuung ihrer jüngeren Kinder, nicht freiwillig ausgesucht. Letztendlich sind wir alle unvorbereitet in diese neue und ungewisse Situation geschlittert.
Es gibt keine vorgefertigten Strukturen
Niemand kann sagen, wie nun etwas »richtig« gemacht werden kann. Ob Regierung, Behörden, Lehrer und Lehrerinnen, Arbeitgeber und Arbeitgeberinnen, Eltern – alle bewegen sich auf neuem Terrain. Für diese Ausnahmesituation gibt es keine fertigen Pläne oder Strukturen.
Lehrer, Lehrerinnen und Lernbegleitende setzen ihre Arbeit mit dem vorgegebenen Lehrplan ganz unterschiedlich fort. Von kopierten Arbeitsblättern, der Bereitstellung digitaler Möglichkeiten, bis hin zu individueller Betreuung der Schüler in virtuellen Räumen gibt es alles. Letztendlich bleibt es den Eltern überlassen, im Rahmen ihrer Möglichkeiten damit umzugehen.
Die plötzliche Arbeit im Homeoffice ist ebenso wenig durch klare Strukturen geregelt. Es ist nicht möglich, die »vor Ort im Büro«-Situation eins zu eins zu übernehmen. Viele Menschen vermissen den persönlichen Kontakt mit Kollegen und Kolleginnen. Sie sind vielleicht überfordert von den technischen Werkzeugen und fühlen sich möglicherweise sogar belächelt, weil sie nicht glücklich den gewonnenen »Freiraum« bejubeln.
Jede Generation hat ihre eigenen Anforderungen zu bewältigen
Die Anforderungen an die unterschiedlichen Generationen sind verschieden. So war es schon immer, und so ist es auch jetzt. Die Generation unserer Kinder und Jugendlichen stellt als potenzieller Überträger des Coronavirus eine Gefahr für ihre Großeltern dar, sie sollen den Kontakt komplett vermeiden. Damit fallen für sie Bezugspersonen und für Eltern wichtige zusätzliche Betreuungspersonen und damit Entlastung weg.
Die ältere Generation soll nun ebenfalls freiwillig auf Kontakte verzichten, um sich gesundheitlich nicht zu gefährden. Kontakte zu Freunden und Familie können nicht wie gewohnt gepflegt werden. Das kann, zumindest vorübergehend, zu Einsamkeit führen. Wenn fürsorgliche Angehörige die Einkäufe übernehmen, ist das auch mit dem Aufgeben von Selbstständigkeit und Selbstbestimmung Älterer verbunden.
Die aktuelle Elterngeneration zerreißt sich zwischen den vielen Aufgaben, dem Homeschooling der Kinder, der Arbeit im Homeoffice oder außer Haus, der Sorge um die älteren Angehörigen, dem Haushalt und Kochen. Da bleibt kaum Raum für eine Auszeit oder Paarzeit.
Jugendliche fühlen sich eingesperrt und haben das natürliche Bedürfnis, weiterhin ihre Freunde zu treffen. Sie wollen den durch die fehlende Kontrolle der Lehrer gewonnenen Freiraum nutzen und bei dem schönen Wetter des beginnenden Frühlings draußen unterwegs sein.
Den jüngeren Erwachsenen fällt es oft leichter, sich mit den digitalen Möglichkeiten vertraut zu machen. Sie wollen weiterarbeiten und werden vielleicht ausgebremst, weil ältere Kollegen vielleicht nicht so schnell sind.

Jede Generation hat in der Krise ihre eigenen Anforderungen zu bewältigen.
Wenn so viele Menschen ihre Bedürfnisse zurückstellen sollen, sind Konflikte unvermeidlich. Selbstverständlich gehören Konflikte zum Leben dazu. Aber in Ausnahmesituationen, wie dieser Krise, führt Verunsicherung, verbunden mit der fehlenden Möglichkeit, sich räumlich aus dem Weg zu gehen, zu verstärktem Konfliktpotential. Diese zusätzlichen Konflikte sind belastend und kräftezehrend.
Was ist hilfreich und stärkend?
Genau jetzt dürfen wir nicht vergessen, dass wir nicht allein sind. Wir sind technisch zumindest soweit, dass wir ein Netzwerk haben, mit dem wir uns austauschen können. Durch unsere Position als aktuelle Elterngeneration sind wir in der Mitte zwischen den »Alten« und den »Jungen«. Und: Wir haben bereits einen riesigen Erfahrungsschatz, wenn es darum geht, unbekannte Wege zu gehen.
Wir sind diejenigen, die jetzt die Verantwortung übernehmen können.
Wie können wir Verantwortung übernehmen?
Unsere Stärke ist es, Beziehungen durch Verbindung zu gestalten. Wir wissen, was es dafür braucht, und können uns diesen Freiraum gewähren. Wir können » unden«, und »thinking outside the box« ist uns nicht völlig unvertraut.
Auf dieser Basis können wir unsere Beziehung zu unseren Schulkindern während der unfreiwilligen Homeschoolingzeit gestalten. Wir können in unsere Selbstbestimmung finden und uns nicht von den Vorgaben durch Lehrpläne lenken lassen. Wir dürfen uns fragen: »Was genau ist jetzt notwendig? Welche Folgen hat es, wenn es nicht gelingt, am Schulstoff ›dranzubleiben‹?« Und welche Folgen hat es, wenn wir übersehen, was unsere Kinder jetzt von uns brauchen?«
Wir können über WhatsApp, Messenger, Skype oder Zoom den Kontakt zwischen Großeltern und Enkeln ermöglichen, wenn das von beiden Seiten gewünscht wird.
Wir sind in der Lage, die Bedürfnisse älterer Kollegen zu sehen und sie einzubeziehen. Denn es geht tatsächlich nicht nur darum, einen schnellen und reibungslosen Arbeitsablauf zu gewährleisten.
Es kann uns, so wie bisher, auch weiterhin gelingen, mit unseren älteren Kindern im Austausch zu sein. Gemeinsam mit ihnen finden wir ganz sicher Möglichkeiten, ihr Bedürfnis nach Freiraum und Kontakt mit den Anforderungen unserer aktuellen Situation zu vereinbaren.
Ist die Herausforderung zu groß?
Diese Verantwortung ist zugleich eine große Herausforderung für uns. Wir haben die Probleme dieser Zeit nicht erschaffen. Wir sind selbst damit unzufrieden oder überfordert.
Soziale Probleme, wie schlechte Arbeitsbedingungen und ungerechte Ressourcenverteilung, liegen ursächlich bereits Hunderte von Jahren zurück. Die durch Menschen herbeigeführte Veränderung unseres Klimas begann bereits vor unserer Geburt.
Wir können jedoch die Generation sein, die verbindet statt trennt, indem wir jetzt die Verantwortung übernehmen. Diese Verantwortung beginnt mit unserer Sorge für die ältere Generation und aufgeschlossener Gesprächsbereitschaft gegenüber der jüngeren Generation. So können wir eine Basis für den friedvollen Umgang der Generationen miteinander aufbauen. Nur auf Grundlage dieser Basis kann es uns gemeinsam gelingen, Lösungen für die drängenden Probleme unserer Zeit zu finden und umzusetzen.
Was brauchen wir, damit uns das gelingt?
An erster Stelle brauchen wir Freiraum im Kopf. Es ist genau jetzt noch nichts klar, es gibt nicht den »richtigen« Weg. Wir können uns den Raum zugestehen, den wir brauchen. Wir müssen keine Erwartungen erfüllen. Wir dürfen ausprobieren und anpassen. Wir können auf Bewährtes zugreifen, denn wir haben ja bereits einen Erfahrungsschatz. Und wenn es unsere Ressourcen ermöglichen, können wir jetzt Neues versuchen, denn bisher ist der Rahmen noch nicht gesteckt.
Wichtig ist es, uns selbst niemals aus den Augen zu verlieren und gut für uns zu sorgen. Wir alle sind unsicher und wissen nicht, was uns in Zukunft erwartet. Dafür brauchen wir unsere Kraft, denn das Leben wird weitergehen.
Was kommt danach?
Irgendwann wird es eine Zeit nach Corona geben. Es liegt an uns, wie wir dorthin kommen. Völlig erschöpft und desillusioniert oder in unserer Kraft.
Stellen wir uns vor, wie wir »nach Corona« leben möchten. Dann, wenn die Zeit von Homeoffice und Homeschooling vorbei ist.
Wie wird die Welt dann aussehen? Wahrscheinlich nicht wesentlich anders als vorher. Der Klimawandel, Kriege und schlechte Arbeitsbedingungen werden nicht einfach verschwinden. Etwas zu verändern kostet immer Kraft und braucht vor allem Zeit.
Wir können die aktuelle Situation nutzen, um den Grundstein für das zu legen, was uns am Herzen liegt. Wir können verbinden und die Generation sein, der es gelingt, statt zu trennen, den Zusammenhalt in den Vordergrund zu stellen. ■
Juliane Reinsch
ist Bloggerin und Coach für lösungsorientierte Kommunikation in Teams. Zu ihrer Familie gehören ihr Mann, zwei Kinder und der Fisch Bob. Sie li ebt es in ihrem kleinen Kräutergärtchen zu wirken. Ihr Blog ist unter www.julianereinsch.de zu finden.