Abschied von einem leidenschaftlichen Mitstreiter

Valerio Narvaes Polo gründete in Peru die erste Demokratische Schule. Am 15. Mai verschied er, hoffnungslos angesichts einer schmerzhaften COVID-19-Infektion. Seine Mitstreiter|innen|Mitstreitys und Menschen, die ihn kennenlernen durften, erinnern sich. Ein Nachruf.

Ute Siess

Valerio Narvaes Polo

Valerio Narvaes Polo wurde vor 45 Jahren in einem kleinen Dorf in den Anden von Peru geboren. Mit seiner Beobachtungsgabe, seinem Wissensdrang, seiner Kraft und Weitsicht kämpfte er schon früh für Menschenrechte. Eines seiner starken Ausdrucksmittel waren die Poesie und das Schreiben.

Er gründete schließlich nach seiner Ausbildung die Escuela Democratica de Huamachuco (EDHU9 in Peru, bildete sich in Deutschland, England und Israel im Bereich Demokratischer Bildung fort. Mit viel Enthusiasmus wurde er vor einigen Jahren Mitbegründer der Pluriversidad Latinoamerica, einer Ausbildungsstätte für Begleiter|innen|Begleitys Demokratischer Schulen, die sich zu einer erfolgreichen Fortbildungseinrichtung entwickelte, wie es das bei uns so nicht gibt.

Nach zwei Monaten schmerzhaftem Kampf mit COVID-19 und ohne mögliche medizinische Hilfe in dieser abgelegenen Gegend der Anden verließen ihn seine Kräfte zur Gesundung, und er starb am 15.05.2021

Als Mitbegründerin der EDHU möchte ich keinen üblichen Nachruf schreiben.

Valerios Stimme wird nicht mehr zu hören sein, dafür wird aber die Kraft und Tragweite seines Wirkens in so vielen Briefen, die mich aus aller Welt erreichten deutlich, und ich möchte an einigen dieser bewegenden Worte teilhaben lassen und sie namentlich zitieren.

David Novoa, Freund und Schriftsteller, Peru:

Lieber Valerio,

Du bist besonders, du machtest die wichtigste und anspruchsvollste Arbeit, die heute alle fordern – Bildung. Du hast nicht nur ein Curriculum verfolgt, du behütetest das unberührte und durchschaubare Kind in deinem Herzen. Du lehrtest sie, ohne zu lehren, spielend und begleitend, diese deine kleinen Schwestern und Brüder, durch wohltuende und natürliche Methoden.

Die EDHU ist die erste ihrer Art in Peru, ein pädagogischer Erfolg, geschätzt von Schüler|innen|Schülys, Eltern, Ausländer|innen|Ausländys, von denen du Unterstützung für deinen großartigen Traum erhieltst.

Von den Behörden und Institutionen aus Peru kam, wie üblich, nur Gleichgültigkeit und von ihnen wird fast nichts umgesetzt.

Für dich war das jedoch, kein Hindernis. Du kanntest deinen Weg und gingst ihn mit Bravour und Bescheidenheit.

Fast niemand kannte die großen Gefahren, denen du dich aussetztest, um deine Schule zu verteidigen, die Schule für ein neues Peru.

Du sagtest den illegalen Minenbesitzern klar gegenüber, dass sie euer Wasser verschmutzten und ohne zu zögern ließest du sie wissen, dass du die Freie Universität Lateinamerikas und die Publikation deines neuen Buches diesem Thema widmen würdest. Die Frage nach dem Bildungsauftrag deines Landes ließ dich nie ruhen.

Jetzt, wo du die Knochenarbeit verlassen hast, hat sich der Kern deiner Ideen und deiner Kraft in den vielen Herzen, die dich lieben und bewundern, herauskristallisiert. Wir wissen, dass du durch neue Lehrer|innen|Lehrys zurückkehren wirst in ein anderes Peru, denn du verbindest dich mit der Seele der Welt und ihrer Heilkunst für das Herz.

Danke Valerio, Du menschlicher und beispielhafter Lehrer.

Enrique Carbajal, Team der EDHU:

Lieber Valerio,

Mit einer absoluten Schwere meiner Seele trauere ich um den spürbaren Tod meines innigen Freundes.

Ich habe das große Glück gehabt, mit dir Lebensabschnitte und unvergängliche Augenblicke zu teilen und kenne deinen Mut, den du immer gehabt hast, um dem Leben mit Wertschätzung, Anstand und Kompromissen zu begegnen. Durch dieses Handeln wolltest du eine menschlichere und gerechtere Welt schaffen. Mir bleibt die Erinnerung an deine wertvolle Freundschaft, um die Welle der Traurigkeit abzuschwächen.

Ruhe in Frieden, liebster Freund.

Margui Rebeza Marina, Schülerin der EDHU:

Lieber Valerio,

die Ruhe in dieser Nacht ist ungewöhnlich, aber die Stimme deines Kampfes ertönt im Echo, lieber Freund und Begleiter, weil du immer einen Zauber um dich haben wirst, Bruder des Lebens, Freund der Welt.

Ich danke dir für viele Jahre des Kampfes und der Freundschaft an deiner Seite. Ich danke dir dafür, dass dein Licht sichtbar war in dieser unendlichen Dunkelheit. Danke, dass deine Stimme und dein Durst nach Gerechtigkeit niemals erloschen. Danke für deine Lieder, für dein Lachen, deine Tänze, vor allem aber Dank für deinen Mut und deine Unerschrockenheit.

Ohne um etwas zu bitten, brachtest du mir bei, eine andere Welt zu sehen. Deine besondere Art, immer ernsthaft durch das Leben zu gehen, gaben meinen Augen Lebensfarben.

Du warst mehr als ein herausragender Pädagoge, Kulturstimulant, du warst Zauber, Frieden, Hoffnung, warst unsere Gemeinschaft.

Ich werde dir für immer dankbar sein. Leb wohl, Vale, schlauer Fuchs.

Helen Tatiana Catay Iparaguirre, Schülerin der EDHU:

Lieber Valerio,

Du wirst als eine Persönlichkeit mit Mut, Gerechtigkeitssinn und Menschlichkeitsempfinden bei uns bleiben. Jetzt beweint Huamachuco und ein großer Teil deiner Welt deinen Tod. Du erschafftest Weitreichendes, darunter die Demokratische Schule Huamachuco, unsere Schule in den Anden.

Du bist weltweiter Träger von Bildung. Deine Lehren werden in mir andauern und weiterleben. Dein Vertrauen und deine Anregungen haben mich gestärkt. Unzählige Male hast du mir gesagt, dass ich weitkommen würde, und somit habe ich heute das Vertrauen, dass das so sein wird. ‚Bildung von Mensch zu Mensch‘.

Flieg hoch, lieber Freund, eines Tages werden wir uns wieder begegnen.

Marcel Bösch, für die Pluriversidad:

Wir von der Pluriversidad sind erschüttert. Mit unendlicher Traurigkeit teilen wir die schmerzhaften Gefühle über diese Nachricht. Unser lateinamerikanischer Freund und Bruder Valerio Narvaes Polo ist gestern, am 15. Mai 2021 gestorben. Wir sind mit den Gedanken bei seiner Familie und seinen geliebten Menschen, bei der EDHU, die jetzt so unter ihrem Verlust leidet, ihres Gedankengebers, Gründers der EDHU, Mitbegründers der Pluriversidad Lateinamerikas.

Er ist ein ewig anregender Mensch gewesen und wird es bleiben, Vorbild im Kampf für soziale Gerechtigkeit nicht nur für Peru, sondern für Lateinamerika und die Welt. Valerio hat uns Grundlegendes hinterlassen, indem er Licht auf den Weg zu einem respektvolleren Umgang in der Bildung von Mensch zu Mensch vorgelebt hat.

Wir werden immer deine Freude, dein Lächeln, deinen Kampf, deine Passion, deine Inspiration, um unsere Träume in die Realität umzusetzen, in uns tragen.

Dein Wirken ist bei unzähligen Menschen und Orten angekommen und wird uns weiter begleiten und von uns weitergelebt werden.

Du wirst in unseren Herzen bleiben. Die Erinnerung an die wunderbare Persönlichkeit, die du bist und warst, deine Werke, deine Erfahrungen und Visionen für eine bessere und gerechtere Welt haben uns geprägt.

Vielen Dank, Valerio, wir werde dich so vermissen.

Geh nun auf eine wohlverdiente friedliche Reise, lieber Bruder.«

Carlos, Schüler der EDHU:

Wenn ein Meister stirbt, stirbt er eben nicht.

Mariam Khelifa, ehemalige Schülerin der Kapriole in Freiburg:

Ich habe Valerio nur kurz kennengelernt und trotzdem hat er mich mit seiner unglaublichen Kraft und Intelligenz so berührt.

Paco Yoncaova, einer der erste Schüler der Kapriole in Freiburg:

Valerio war so quirlig und begeisterungsfähig und konnte sich mit den Kindern in die Welt des Spielens begeben und im Moment sein, herzlich lachend und mit einer Freude im Gesicht. Oder auch, als wir das neue Gelände der Schule das erste Mal besuchten, er ins Träumen kam und sich genüsslich in den Klee legte.

Natürlich ist da auch seine denkerische Seite, die künstlerisch-poetische, aber auch die strategische. Was braucht es, um voran zu kommen, um die Schule weiter auf ihrem Weg zu begleiten, immer auch mit der Perspektive, wirklich viel ändern zu wollen in der Gesellschaft und auf der Welt. Er hat Missstände aufgezeigt und sich viele Gedanken gemacht, wie man dem beikommen kann. Auch das drückte oft sein Blick aus, wenn er ihn über die schönen Berglandschaften in Huamachuco schweifen ließ.

Es ist sehr traurig zu wissen, dass ich ihn nicht noch einmal werde besuchen können, nicht noch einmal sein Lachen hören und seine Beschwingtheit erfahren kann, nicht noch einmal seinen Geschichten der letzten vielen Jahre zu lauschen, die Geschichte der Schule aus seinem Mund erzählt zu bekommen.

Ute Siess, Ansprache zur Beisetzung von Valerio:

Lieber geschätzter Valerio, liebe Gemeinschaft der EDHU,

Du, Valerio, hast dich und deine Kraft für uns alle aufgeopfert mit deiner Ernsthaftigkeit, deiner Ehrlichkeit im Kampf für Gerechtigkeit, deiner Wertschätzung, deinem Respekt und deiner Würde für die Menschen.

Im Namen der Kapriole, Freiburg, Deutschland, und im Bewusstsein darüber, wie unendlich traurig ihr alle seid und wir mit euch, möchten wir euch allen, besonders auch Valerios Familie unser tiefes Mitgefühl aussprechen.

Du hast viele Jugendliche geprägt, die mit Sicherheit die Wichtigkeit einer Demokratischen Bildung verstanden haben, die jeden einzelnen seine eigenen Fähigkeiten entwickeln lässt.

Bitte lebt den Weg, den Valerio uns aufgezeigt hat, den er uns vorgelebt hat. Fasst den Mut dazu, eine Welt mitzuschaffen, in der es menschlich und würdig ist zu leben. Sie kann nur mit tiefer Bildung, friedlichem und respektvollem Umgang miteinander existieren. Lasst uns Valerios Ziele gemeinsam weiterverfolgen.

Bitte lasst euch eure Natur und euer Leben nicht zerstören in der Annahme, dass Geld ein würdiges Leben schafft. Geldgier zerstört das, was unser Valerio retten wollte: Das Leben!«

Während die Erwachsenen die Abschiedsfeier von Valerio vorbereiteten, spielten die Kinder, bauten ihre Sandburgen, waren ganz dem Augenblick hingegeben.

Für die Zukunft dieser Kinder wird das Team, zusammen mit den Familien und Menschen aus dem Freundeskreis, den Weg weitergehen: Den Weg der Trauer und der Verarbeitung dieses unfassbaren Ereignisses, den Weg des Suchens nach einer Neuorientierung.

Die Essenz von Valerios Vision einer kinderwürdigen Pädagogik haben sie in all den Jahren gemeinsam gelebt und verinnerlicht. Sie wird weisend sein auf dem Weg in die neue Zukunft. ■

Ute Siess

ist Mutter von drei Töchtern und seit über 40 Jahren Lehrerin. Einige dieser Jahre verbrachte sie im Team der Freien Demokratischen Schule Kapriole in Freiburg. Sie ist Mitbegründerin der EDHU in Peru, arbeitet eng mit Valerio Narvaes Polo zusammen und übersetzte sein Buch Zurück zu den Wurzeln – Demokratische Bildung .

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