
Was ist ein Kind?
Wir sprechen oft selbstverständlich von Kindern, ohne uns darüber Gedanken zu machen, was das eigentlich ist – ein Kind. Aber unserer Vorstellung von Kindern und Kindheit liegen Ideen zugrunde, die kulturell und historisch verankert sind und selten hinterfragt werden. Ein historischer Abriss zu einem Alltagsbegriff.
Katja Rose
Eingangs genannte Grundannahmen gelten jedoch nicht überall und nicht für alle Kinder. Deshalb ist es spannend und lohnenswert, kritisch in die Geschichte von Kindheit zu schauen: Wie hat sich der Blick auf Kinder historisch verändert? Lassen sich daraus Gedanken ableiten, die unsere Vorstellungen von Kindern und Kindheit heute betreffen? Wie beeinflussen diese Ideen unseren Blick auf Kinder weltweit? Und wie wird die Art, wie wir uns als Eltern definieren und mit unseren Kindern umgehen, von der Zeit und der Kultur beeinflusst, in der wir leben?
Der folgende Text beleuchtet Vorstellungen von Kindheit und deren historische Entwicklung entlang des Spannungsfeldes von Schule und Kinderarbeit. Denn gerade die Frage, warum Kinder weltweit um das Recht zu arbeiten kämpfen, eignet sich gut um zu verdeutlichen, wie Kindheit im deutschen Sprachraum konstruiert wird und warum Kindheit als arbeitsfreier Raum gilt.
Wenn historische Betrachtungen angestellt werden, kommt schnell die Frage auf, welche Quelle der Wahrheit am nächsten kommt. Warum differieren die Beschreibungen verschiedener Autoren von derselben Zeit? Warum kommen bestimmte Dinge (fast) nie, andere häufig vor?
In Bezug auf Kinder ist z. B. festzustellen, dass es in verschiedenen Epochen Zeugnisse über die Kindheiten von Oberschichtkindern gibt, dass aber Beschreibungen der Kinder unterer Schichten fast völlig fehlen. Diese Lücken in der Geschichtsschreibung sind nicht zufällig, manchmal sagt auch das Weggelassene etwas über eine Zeit aus.
Wichtig ist auch die Frage nach dem Interesse des:der Autor:in. Mit welcher Fragestellung schrieb er die Texte, was waren die Grundannahmen und was sollte gezeigt werden? Schrieb ein Mann oder eine Frau? In welchem soziokulturellen Umfeld entstand der Text? Nur vor dem Hintergrund dieser Informationen kann ein kritisch Lesender einschätzen, wie der historische Text, der vorliegt, kritisch interpretiert werden kann.
Nicht unwesentlich zu beachten ist, dass viele angebliche Kontinuitätslinien im Nachhinein konstruiert wurden. Das heißt, dass vor dem Hintergrund der aktuellen Zeit in frühere Zeiten geschaut wird und Dinge hervorgehoben werden, die als Vorläufer von heute Existierendem dargestellt werden. Oft entstehen so zwangsläufig erscheinende Veränderungen – die real gar nicht zwangsläufig sind. Gerade beim Thema Kindheit kommt es so zu gravierenden Verzerrungen. Heute ist Kindheit eng verbunden mit dem Konzept der Entwicklung: Sowohl jedes individuelle Kind entwickelt sich als auch die Situation der Kinder. Vor dem Hintergrund der Idee von Weiterentwicklung liegt es nahe, dass Kindheit „früher“ sehr viel schlechter gewesen sein muss als heute.