Gefährdet die Legende vom Weihnachtsmann das Vertrauen?

»Aber die Magie!«, ist das häufigste Argument für das Einführen des Weihnachtsmannmythos bei kleinen Kindern, aber dass die Magie verpufft und Enttäuschung auf mehreren Ebenen zurückbleibt, wird dabei gern verdrängt. Aber das muss gar nicht so sein.

Jan Hunt

Kinder lieben den Weihnachtsmann, und dabei geht es nicht nur um die Geschenke. Es geht um Fantasie, Hoffnung und Spaß. Aber es führt kein Weg daran vorbei: Die Legende vom Weihnachtsmann hat ein Dilemma für Eltern geschaffen. Ist es ethisch vertretbar, einem Kind zu sagen, dass es den Weihnachtsmann gibt? Ist es eine harmlose »Notlüge«, ein unschuldiger und liebevoller Versuch, einem Kind die Freude an der Fantasie zu erhalten und die Gewissheit zu geben, in unsere Kultur zu passen, oder ist es im Grunde und unausweichlich eine Lüge, die die zerbrechliche Vertrauensfähigkeit des Kindes beeinträchtigen kann?

Gibt es eine Möglichkeit, die Fantasie ohne die Lüge zu erhalten?

Obwohl meinem Sohn beigebracht wurde, an den Weihnachtsmann zu glauben, machte ich mir Sorgen über die möglichen Folgen, da mir in meiner eigenen Kindheit die Geschichte vom Weihnachtsmann nicht beigebracht worden war. Als er im Alter von acht Jahren die »Weihnachtsmannfrage« stellte, wurde mir bewusst, dass meine Befürchtungen wohlbegründet waren.

Ich kann mich noch gut an seinen bestürzten, verwirrten und traurigen Blick erinnern, als ich ihm so sanft wie möglich zu verstehen gab, dass der Weihnachtsmann in Wirklichkeit ein Mythos ist. Obwohl ich ihm dann die wahre Geschichte des Heiligen Nikolaus von Patara erzählte, tröstete ihn das wenig. Seitdem habe ich unsere ursprüngliche Entscheidung immer bereut.

Aber wie kann ein Elternteil die Grenze ziehen zwischen unschuldiger Fantasie – die im Leben eines Kindes so wichtig ist – und einer letztlich schädlichen Lüge, die später unweigerlich erklärt werden muss? Kinder gedeihen in der Fantasie und in der Vorstellungskraft. Sie lieben erfundene Geschichten und fiktive Charaktere und geben ihren Plüschtieren und Puppen gerne Namen und einzigartige Persönlichkeiten.

Fantasie und Spiel sind wesentliche Elemente im Leben eines Kindes. Sie bringen nicht nur Freude und Humor, sondern fördern auch die Fähigkeit, sich etwas vorzustellen und »über den Tellerrand« zu schauen. Vorstellungskraft ist ein wichtiger Bestandteil des Denkens und des Problemlösens. Was ist also der Unterschied zwischen gesunder Fantasie und Täuschung, die das Vertrauen zwischen Eltern und Kind gefährdet? Gibt es einen Weg, die Fantasie ohne die Lüge zu erhalten?

Ich fand dieses Rätsel erstaunlich schwer zu lösen. Aber nach langem Nachdenken hatte ich das Gefühl, dass es einen Mittelweg geben könnte. Wenn man einem Kind einfach die »Weihnachtsmanngeschichte« über einen freundlichen alten Herrn erzählt, der in seiner Scheinwelt Geschenke für Kinder hinterlässt, aber in der fiktiven Welt der Geschichte bleibt, müsste man die Lüge, dass er Geschenke für das Kind in unserer Welt hinterlässt, nie auflösen.

Eltern und Kinder könnten das »Weihnachtsmannspiel« spielen, indem sie sich gegenseitig Geschenke hinterlassen, so wie es der Weihnachtsmann in der Geschichte tut. Dies bietet Kindern die Möglichkeit, die Freude am Schenken an ihren Eltern und Geschwistern zu lernen. Sie erfahren um die Bemühungen ihrer Eltern für sie und lernen diese zu schätzen.

Gemeinsam das »Weihnachtsmannspiel« spielen: gegenseitig Geschenke machen.

Kinder brauchen ein wahrheitsgetreues Bild von ihrer Welt

Für die Weihnachtsmannfrage und für andere Geschichten über solche Figuren wie Feen und Elfen stellt sich die zentrale Frage: Bleiben die Figuren in ihrer eigenen imaginären Welt, oder wird behauptet, dass sie irgendwie auf magische Weise den Übergang von ihrer Welt in unsere schaffen? Werden sie als fiktive Charaktere dargestellt, die unterhalten oder inspirieren sollen, oder können sie das Kind in der realen Welt in irgendeiner Weise direkt beeinflussen – indem sie Geschenke oder Ostereier hinterlassen oder Zähne gegen Münzen tauschen? Der Film The Purple Rose of Cairo ist ein gutes Beispiel für eine fiktive Figur, die auf magische Weise ihre Welt verlässt und in die reale Welt der Heldin einbricht. Aber der Film wurde als eine faszinierende und unterhaltsame Fiktion präsentiert, nicht als eine Nachrichtenmeldung.

Wenn alle fiktiven Charaktere in ihren eigenen Fantasiewelten bleiben, könnten Eltern und Kinder immer noch Überraschungen unter dem Baum liegen lassen, »wie es der Weihnachtsmann in der Weihnachtsgeschichte tut«, und so dem Kind die Möglichkeit geben, sowohl zu geben als auch zu empfangen. Das Kind würde immer noch die Stimmung und Freude des Weihnachtsmannmärchens kennen, aber es gäbe keine Täuschung, die später erklärt oder bereut werden müsste, und das Kind erhält authentische Informationen über die reale Welt.

Kinder brauchen ein wahrheitsgetreues Bild von ihrer Welt, damit sie lernen können, sich darin mit Vertrauen, Wissen und Sicherheit zu bewegen. Die Vermittlung eines solchen Verständnisses ist ein ebenso wichtiger Grund, den Weihnachtsmannmythos zu vermeiden, wie die Notwendigkeit, das Vertrauen des Kindes zu erhalten. Wenn wir die magische Fantasie beibehalten, sie aber innerhalb der Grenzen der Welt der Fiktion und des Geschichtenerzählens halten, können wir heute Fantasie und Freude fördern, ohne uns um die Fragen zu sorgen, die uns morgen sicherlich gestellt werden.

Jan Hunt

ist die Leiterin des The Natural Child Project, das Informationen zum respektvollen Elternsein und Bildung bereithält. Sie ist Autorin von Mensch Kind und A Gift for Baby (Ein Geschenk fürs Baby). Mit ihrem unbeschulten Sohn Jason war sie Herausgeberin von Das Freilerner-Buch. Sie berät weltweit per Telefon oder E-Mail zu den Themen Elternschaft und Unschooling. Gemeinsam mit ihrer Familie lebt sie in British Columbia, USA.

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